Poltern: Der Grundpfeiler der zwischenmenschlichen Kommunikation ist die Sprache. Für die Interaktion und den Austausch zwischen Menschen ist sowohl ein klares Sprechvermögen als auch ein ausgeprägtes Sprachverständnis wichtig. Doch leider kann beides gestört sein und die Kommunikation erschweren.
Schwierigkeiten bei der Sprachentwicklung fallen oft schon im Kindesalter auf, doch manchmal treten Sprech- und Sprachstörungen erst viel später im Leben eines Menschen ein. Es gibt verschiedene Arten von Sprach- und Sprechstörungen und eine davon ist Poltern.
Viele machen keinen Unterschied zwischen Poltern und Stottern, doch es handelt sich hierbei um zwei unterschiedliche Sprechstörungen.
Was ist Poltern?
Beim Poltern handelt es sich um eine Redeflussstörung, bei der Betroffene nicht der Norm entsprechend und/oder unrhythmisch schnell sprechen. Häufig tritt Poltern schon im Kindesalter1Diagnosehäufigkeit von Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache bei Kindern im Alter bis 14 Jahre im Jahr 2010 – https://de.statista.com/statistik/daten/studie/218090/umfrage/verbreitung-von-sprachstoerungen-bei-kindern/ – abgerufen am 14.6.2023 auf, manifestiert sich stärker in der Pubertät und bleibt für die Betroffenen ein lebenslanger, unangenehmer Begleiter. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.
Im Gegensatz zum Stottern ist Poltern noch relativ wenig erforscht. Auf den ersten Blick wird Poltern von Stottern schwierig abgegrenzt und viele Menschen setzen diese Begriffe gleich, obwohl es sich nicht um die gleiche Erkrankung handelt. Beim Poltern verschmelzen die Worte und Laute, es werden Silben ausgelassen und das Gesprochene ist nur schwer verständlich.
Der Unterschied zwischen Poltern und Stottern
Poltern ist vielmehr eine Mischung aus Sprech- und Sprachstörung2Poltern – https://hannover-logopaedie.de/kinder/poltern/ -abgerufen am 14.6.2023, während Stottern eine Sprechstörung ist. Das Poltern ist vor allem durch ein unregelmäßiges und hohes Sprechtempo gekennzeichnet.
Aufgrund vieler Sprechfehler und Satzabbrüche, bei denen die Wörter, Silben und Laute ineinanderfließen, kann die Sprache undeutlich bis unverständlich sein. Dabei liegt die Redeflussstörung nicht im Sprechvorgang selbst, sondern eher in der gedanklichen Vorbereitung. Poltern ist deshalb vom Stottern abzugrenzen, obwohl es auch Mischformen gibt.
Beim Stottern wird zwischen tonischem und klonischem Stottern unterschieden:
- Die schnelle Wiederholung von einzelnen Wörtern, Silben oder Lauten ist das Hauptmerkmal vom Redefluss beim klonischen Stottern.
- Beim tonischen Stottern hingegen kommt es zu Sprechpausen und zur Dehnung von Silben.
Oft wird diese Symptomatik von verschiedenen Mitbewegungen, wie Bewegungen des Kopfes sowie dem Ineinanderpressen der Hände begleitet. Betroffen sind sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene.
Selbst für trainierte Beobachter ist es nicht leicht, Stottern eindeutig zu identifizieren. In einer Studie3Fallstudie mit Spezialisten für Redeflussstörungen bezogen auf Poltern und Stottern – https://www.researchgate.net/publication/297497424_Fallstudie_mit_Spezialisten_fur_Redeflussstorungen_bezogen_auf_Poltern_und_Stottern – abgerufen am 14.6.2023 von Kully und Boberg (1988) wurden Sprechproben von stotternden und nichtstotternden Teilnehmern von Spezialisten auf der ganzen Welt ausgewertet. Das Ergebnis zeigte, dass sich Spezialisten nicht einig waren, welche Sprechproben von flüssigen Sprechern und welche von Stotterern stammen.
Anschließend wurde eine Checkliste erstellt, um diese beiden Redeflussstörungen voneinander abzugrenzen. Reines Poltern soll übrigens seltener als reines Stottern auftreten, so die Ergebnisse von Studien aus den 80er und 90er Jahren4Redeflussstörungen (Stottern/Poltern) – https://www.dbl-ev.de/erwachsene/redeflussstoerung – abgerufen am 14.6.2023.
Ursachen sind nicht ausreichend erforscht
Da es bislang noch kaum Forschungen zum Thema Poltern gegeben hat5Poltern – https://medlexi.de/Poltern – abgerufen am 14.6.2023, blieb die Ursache dafür lange Zeit ungeklärt. Das Poltern wurde in früheren Jahren für eine Verhaltensstörung gehalten, doch die Medizin vermutet mittlerweile eine Kombination aus:
- Timingstörung,
- Planungsstörung,
- Kontrollstörung,
- Verarbeitungsstörung und
- Wahrnehmungsstörung.
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme stuft das Poltern trotz der bis heute ungeklärten Ätiologie als eine Erkrankung aus der Gruppe der psychisch bedingten Verhaltensstörungen ein. Die Redeflussstörung wird der Untergruppe andersartiger Verhaltens- und emotionaler Störungen zugerechnet und ist differenzialdiagnostisch von den Tic-Störungen und dem Stottern abzugrenzen.
Diese Sprachablaufstörung beginnt oft schon in der Kindheit und kann sowohl rein körperliche als auch psychische Ursachen haben. In diesem Zusammenhang assoziiert Poltern vor allem mit degenerativen Erkrankungen wie Demenz.
Welche Symptome weisen auf Poltern hin?
Es können mehrere verschiedene Merkmale auf Sprech- und Sprachstörungen hindeuten. Da es sich beim Poltern um eine recht komplexe Redeflussstörung handelt, deuten oft mehrere Anzeichen darauf hin. Demnach können folgende Symptome auftreten:
- nicht flüssiges Sprechen (Wort- und Satzabbrüche, Einschub von Silben),
- Wiederholung von Lauten, Silben, Wörtern oder Satzteilen,
- unregelmäßiges, schnelles Sprechen,
- auffällige und unverständliche Lautbildungen,
- Versuche, das Gesprochene während des Sprechens zu korrigieren,
- Wortfindungsstörungen und geringer Wortschatz,
- ungewöhnliche Betonungen,
- monotone Sprechweise,
- Abschweifen von Redeinhalten,
- fehlende Gliederungen des Ausgesprochenen, um es verständlich auszudrücken,
- mangelnde Sprechkontrolle,
- Störungen bei der Verarbeitung des Gehörten und der Wahrnehmung,
- Aufmerksamkeitsstörungen,
- Rechtschreib-/Leseschwäche und Grammatikfehler,
- holpriger Wechsel zwischen Sprechen und Zuhören in einem Gespräch,
- Sprechangst (in der Regel nur bei einem Mix von Stottern und Poltern),
- mangelndes oder fehlendes Bewusstsein der vorhandenen Redeflussstörung.
Die genannten Symptome können teilweise auch bei anderen Sprechstörungen auftreten. Da sowohl psychische als auch organische Erkrankungen als Ursache infrage kommen, gilt es die Beschwerden gründlich abzuklären.
Wie verläuft die Diagnose?
Um eine Diagnose bei Verdacht auf Poltern stellen zu können, muss mindestens eines der folgenden Kernsymptome vorliegen:
- Auffälligkeiten der Sprachinhalte,
- undeutliches Sprechen,
- auffällige Lautbildung oder
- ungewöhnliches und/oder hohes Sprechtempo.
Logopäden und Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Phoniatrie sind für die Diagnosestellung von Sprach- und Sprechstörungen zuständig. Für die Logopädische Diagnostik von Poltern6Logopädische Diagnostik von Poltern – https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0034-93470# – abgerufen am 14.6.2023 wird zunächst die Krankengeschichte (Anamnese) sowie die kindliche Entwicklung erfragt. Dazu kommt auch ein dafür speziell entwickelter Anamnesefragebogen (nach Sick) zum Einsatz.
Durch das Predictive Cluttering Inventory (PCI) kann ein erstes Screening auf Poltern erfolgen. Mittels Video- und Audioaufnahmen werden Sprechproben erhoben, wobei der Patient mindestens 10 Minuten lang spontan sprechen, etwas laut vorlesen oder nacherzählen soll.
Die sogenannte Fluency Assessment Battery kommt als ein weiteres Diagnoseverfahren zum Einsatz. Damit werden nicht nur spezielle Messungen der Sprache vorgenommen, sondern auch die Gefühle und die Wahrnehmung erfasst.
Eine gute Grundlage für die Diagnosestellung und Therapieplanung bietet das sogenannte ICF-Modell, bei dem folgende Dinge miteinbezogen werden:
- Körperfunktionen und -strukturen (z. B. Sprechgeschwindigkeit, -flüssigkeit etc.),
- Schreiben,
- Lesen,
- Persönlichkeit des Betroffenen sowie
- Umweltfaktoren (Schule, Familie etc.).
Behandlung und Vorbeugung von Poltern
Meistens kombiniert die Therapie von Poltern verschiedene Behandlungsansätze und orientiert sich an der individuellen Situation des Patienten. Dabei zielt die Behandlung auf eine Verbesserung der sprachlichen Gestaltung und die Kontrolle des Sprechtempos ab. Auch der Deutlichkeit von Silbenaussprache und Lautbildung wird besondere Beachtung geschenkt. In der Regel verbessert sich die Sprechflüssigkeit infolge dieser Maßnahmen, doch die Übungen müssen kontinuierlich durchgeführt werden.
Bei der Behandlung geht es auch darum, mögliche Belastung durch Auswirkungen auf Lebensaktivität und -qualität, soziales Leben sowie Psyche zu reduzieren. Besonders wichtig ist es, dass die Betroffenen sowie deren Familienangehörige über das Poltern, die Behandlung, Rückfälle und deren Bewältigung ausführlich beraten und informiert werden. Wenn eventuell eine andere Störung oder Erkrankung (z. B. neurologische Erkrankungen oder Entwicklungsverzögerung) vorliegt, muss zuerst diese behandelt werden.
In Zusammenarbeit mit einem Logopäden kann mittels verschiedener Verfahren an der Sprechweise und/oder an einem konkreten Ereignis gearbeitet werden (z. B. die Gedanken konzentriert und langsamer ausdrücken), was durch folgende Methoden erzielt wird:
- Gestik/Mimik,
- Ausdruckshilfe,
- Nacherzählungen,
- Lesetraining,
- Rollenspiele und
- Atemtechnik.
Eine Einzelfallstudie zeigt7Kinästhetisch-Kontrolliertes Sprechen (KKS) bei Poltern – https://www.hs-bremen.de/assets/hsb/de/Dokumente/Fakult%C3%A4ten/Fakult%C3%A4t_3/ATW/Journal_Club/Wiele___Z%C3%BCckner_KKS_2019.pdf – abgerufen am 14.6.2023, dass das Therapieprogramm KKS (Kinästhetisch-Kontrolliertes Sprechen) zur Verringerung der Symptome führen kann.
Mittels Audio- und Videotechnik können die Begleitsymptome analysiert und behandelt werden. Zur Veränderung des Sprechens und Modifikation gepolterter Sprechanteile haben sich sogenannte Fluency-Shaping-Strategien8Therapie: Stottern gut behandeln – https://www.bvss.de/stottern/therapie – abgerufen am 14.6.2023 besonders bewährt.
Warum ist die Einbeziehung eines Logopäden wichtig?
Menschen, die unter Poltern leiden, bekommen ohne eine gezielte logopädische Behandlung ihre Sprechstörung und deren Folgen nicht selbst in den Griff. Als Begleiterscheinungen treten durch die mangelnde Sprechkontrolle oft tiefgreifende Kommunikationsstörungen, Sprechängste und andere psychische Probleme auf. Diese werden zusammen mit der Redeflussstörung im Rahmen einer logopädischen Behandlung gebessert.
Je nach Art und Ausmaß der Redeflussstörung gehören zu den Inhalten der logopädischen Sprechtherapie bei Poltern folgende Maßnahmen dazu:
- Einbeziehung des sozialen Umfelds,
- Aufklärungs- und Beratungsgespräche zum besseren Störungsverständnis,
- Training der Konzentration, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung,
- Strategien und Übungen zur besseren Redestrukturierung,
- Koordinations- und Motorik-Training,
- Atemübungen zur Harmonisierung des Redeflusses und der Sprechatmung,
- Artikulationsübungen,
- Übungen zur besseren Stimm- und Sprechkontrolle sowie fließendem Sprechen etc.
Wie sind die Aussichten?
Wie erfolgreich die Behandlung verläuft, hängt stark vom psychischen Zustand des Patienten ab. Poltern führt leider in vielen Fällen zu Sozialproblemen. Vor allem bei Kindern können eine soziale Ausgrenzung und Mobbing auftreten. In extremen Fällen führt dies zu psychischen Problemen.
Durch das Poltern wird der Alltag des Betroffenen eingeschränkt und die Lebensqualität nimmt ab. Da die Symptomatik von Poltern häufig auf eine psychische Ursache zurückzuführen ist, ist eine Behandlung nur eingeschränkt möglich.
In vielen Fällen kann die Behandlung mittels einer Sprachtherapie durch einen Logopäden Erfolg zeigen. Das greift besonders in Fällen, bei denen Poltern durch ein bestimmtes Ereignis aufgetreten und nicht angeboren ist.
Lässt sich dem Poltern vorbeugen?
Eltern sollten ihre Kinder bei ersten Sprachauffälligkeiten zu einem Logopäden bringen, da sich durch rechtzeitige Behandlung ausgeprägtes Poltern im späteren Alter vorbeugen lässt. Andere Maßnahmen zur Vorbeugung existieren bislang nicht, da die Erkrankungsursachen noch immer unzureichend erforscht sind.
Im Alltag stehen den Betroffenen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um die eigene Sprechweise zu beeinflussen. So hilft es bereits, wenn der Betroffene beim Sprechen sein Sprechtempo reduziert und sich gut konzentriert.
Um die notwendige Körperspannung aufzubauen, ist es wichtig, eine aufrechte Haltung zu haben. Beim Sitzen sollte sich der Betroffene aufrichten, ohne die Stuhllehne zu benutzen. Denn die Körperspannung ist für eine ausgewogene Artikulation und eine gute Sprechatmung nötig. Mit etwas Übung lässt sich beim ruhigen Gehen oder im Stehen besonders gut sprechen.
Während der Kommunikation mit anderen Personen sollten Betroffene versuchen, den Blickkontakt zu halten. Die Reaktionen des Gesprächspartners widerspiegeln, ob alles Ausgesprochene verstanden wurde.
Lockerungsübungen für den ganzen Körper, erlernte Entspannungsverfahren und Dehnübungen eignen sich als kleine Übungen für zwischendurch. Auch Unterkiefer, Zunge, Lippen und Wangen sollten immer mal gelockert werden, bevor gesprochen wird. Solche Übungen sind schnell erlernbar und werden in logopädischen Therapien vermittelt.
Quellen & Verweise