Dr Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard ist Diplom-Lebensmittel­chemiker mit Berufserfahrung in Industrie und Wissenschaft. Seiner Promotion im Fach Pharmazeutische Biologie in München schloss sich ein Forschungsaufenthalt in den USA im Bereich Bioingenieurwesen an. Seit 2019 arbeitet er als freiberuflicher Autor und behandelt Themen der Gesundheit, Ernährung und Medizin.

Metamizol (Dipyrone, Novaminsulfon), in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter anderem unter dem Handelsnamen Novalgin® bekannt, ist ein verschreibungspflichtiges Schmerzmittel mit fiebersenkenden und krampflösenden Eigenschaften.

Es wirkt jedoch nicht entzündungshemmend. Metamizol wird auch bei Schmerzen, die von den Eingeweiden ausgehen, und Koliken der Gallen- und Harnwege eingesetzt. Metamizol ist ein Prodrug, dessen Metabolite unter anderem durch Hemmung der Cyclooxygenasen-1 und -2 (COX-1 und COX-2) wirken. Es ist offiziell nur bei starken Schmerzen indiziert, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichend wirken oder andere Gründe gegen deren Einnahme sprechen.

Das Hauptargument gegen eine großzügige Verordnung und für die 1987 beschlossene Rücknahme der rezeptfreien Abgabe ist die gefürchtete Nebenwirkung Agranulozytose. Dabei werden Antikörper gegen Granulozyten gebildet, die zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) gehören. Die Folge ist eine zytotoxische Immunreaktion. Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®) sollte mindestens 5 Stunden nach Metamizol eingenommen werden, da Metamizol die Hemmung der COX-1 durch ASS verhindert1Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie – https://www.doi.org/10.1055/b-006-163246.

Anwendung von Metamizol

Anwendungsgebiete von Metamizol

Die Zulassungssituation von Metamizol ist international vergleichsweise heterogen. In vielen Ländern, unter anderem den USA oder im Vereinigten Königreich, ist es nicht zugelassen. In anderen Ländern ist es rezeptfrei erhältlich. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es verschreibungspflichtig. Zu den Anwendungsgebieten in Deutschland gehören:

  • Akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen
  • Koliken, sehr starke, krampfartige Schmerzen
  • Tumorschmerzen
  • Sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind
  • Hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht2Fachinformation Novalgin® Filmtabletten, Stand Juli 2022 – https://www.fachinfo.de/suche/stoff/083800/Metamizol – Abgerufen am 13.10.2022.

Dosierung und Einnahme von Metamizol

Metamizol ist im deutschsprachigen Raum nur als Monopräparat erhältlich. Es kann in Form von Tabletten, Tropfen oder Zäpfchen oral oder rektal verabreicht werden. Alternativ kann es ärztlich unter Puls-, Atem- und Blutdruckkontrolle auch durch intravenöse oder intramuskuläre Injektionen verabreicht werden.

Bei dieser sogenannten parenteralen Gabe ist  das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen jedoch höher3Metamizol – https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Metamizol_297 – Abgerufen am 13.10.2022.

Die Dosierung richtet sich nach der Intensität der Schmerzen oder des Fiebers und der individuellen Empfindlichkeit gegenüber Metamizol. Es sollte stets die niedrigste schmerz- und fieberkontrollierende Dosis gewählt werden.

Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren kann als Einzeldosis 8 – 16 mg Metamizol pro Kilogramm Körpergewicht gegeben werden. Bei Fieber ist für Kinder eine Dosis von 10 mg Metamizol pro Kilogramm Körpergewicht im Allgemeinen ausreichend. Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren mit mehr als 53 kg Körpergewicht können bis zu 1000 mg pro Einzeldosis einnehmen. In Abhängigkeit von der Tagesmaximaldosis kann eine Einzeldosis bis zu 4-mal am Tag in Abständen von 6 – 8 Stunden eingenommen werden. Die Tagesmaximaldosis ist dem Beipackzettel zu entnehmen und beträgt für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren, die über 53 kg wiegen, 4000 mg. 30 bis 60 Minuten nach oraler Anwendung kann eine deutliche Wirkung erwartet werden4Fachinformation Novalgin® Filmtabletten, Stand Juli 2022 – https://www.fachinfo.de/suche/stoff/083800/Metamizol – Abgerufen am 13.10.2022.

Wirkung von Metamizol

Metamizol - Anwendung, Wirkung und Nebenwirkung

Metamizol ist ein Prodrug, das zur Verbesserung der Aufnahme chemisch modifiziert ist und das nach Aufnahme im Blut sofort in den hauptsächlich wirksamen Metaboliten 4-N-Methylaminoantipyrin (4-MAA) und in 4-Aminoantipyrin (AA) umgewandelt wird. MAA und AA hemmen reversibel die Cyclooxygenasen COX-1 und COX-2, indem sie Radikale abfangen, die für die Aktivierung der COX-Enzyme notwendig sind. Hemmstoffe der Cyclooxygenasen sind weltweit die am häufigsten eingenommenen Arzneimittel.

Sie verhindern durch Hemmung der COX-2 die Bildung von Prostaglandinen, einer Gruppe von Hormonen, die bei Schmerzvermittlung, Entzündungsreaktionen und Fieber eine Rolle spielen. Die Hemmung der COX-1 ist nur für die Blockade der Thrombozytenaggregation therapeutisch relevant. COX-1-Hemmer werden zur Vorbeugung und Therapie von thrombotischen Ereignissen eingesetzt. Cyclooxygenasen werden physiologisch bei Entzündungsreaktionen nach Gewebeverletzungen aktiviert.

COX-1 und COX-2 katalysieren sowohl die physiologischen als auch die pathologischen Funktionen der Prostaglandine. Neben Metamizol gehören auch Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Etoricoxib, Ibuprofen und Paracetamol zu den COX-Inhibitoren. Für alle der genannten Medikamente ist die Hemmung der Cyclooxygenase 2 (COX-2) das wesentliche therapeutische Wirkprinzip. Auch die Nebenwirkungen dieser Arzneistoffe beruhen überwiegend oder ausschließlich auf der Inhibition von COX-2 und/oder COX-1.

Die Vielfalt der beiden Cyclooxygenasen COX-1 und COX-2 wird unter anderem durch den Zeitpunkt, die Dauer und den Zelltyp bzw. das Organ bestimmt, in dem die Enzyme wirken. Sie unterscheiden sich weiterhin in der Lokalisation innerhalb der Zelle und der Zugänglichkeit für ihre Substrate. COX-1 wird in vielen Zellen dauerhaft exprimiert und hat überwiegend physiologische Funktionen im gesunden Gewebe. Dazu zählen der Schutz der Magenschleimhaut oder die Regulation der Nierenfunktion. COX-2 wird ebenfalls dauerhaft in Nieren, Gehirn oder an der Innenfläche der Blutgefäße exprimiert. Im Unterschied zur COX-1 kann COX-2 aber schnell auf bestimmte Reize hin vermehrt aktiviert werden.

Dies ist beispielsweise unter pathologischen Bedingungen nach Gewebeverletzungen und bei Entzündungen der Fall. Daher zielt die Therapie mit COX-Hemmern auf die Funktion der COX-2 bei pathologischen Vorgängen ab.

Es ist noch immer unklar, warum Metamizol trotz seiner COX-Hemmung weder entzündungshemmend wirkt noch die typischen Nebenwirkungen der anderen COX-Hemmer zeigt. Die fehlende entzündungshemmende Wirkung könnte mit der Basizität von Metamizol zusammenhängen, die es dem Molekül nicht erlaubt, in die sauren Entzündungsgebiete vorzudringen. Metamizol hemmt zudem nicht das Zusammenlagern von Blutplättchen, schädigt offensichtlich nicht bzw. nur in hohen Dosierungen die Magenschleimhaut und beeinträchtigt nicht die Nierenfunktion.

Eine mutmaßliche Ursache dafür ist die kurze Halbwertszeit, die den COX-Enzymen eine rasche Regeneration erlaubt. Es fehlen jedoch Studien zu längerer Einnahme von Metamizol. Metamizol hemmt weiterhin einen an der Schmerzweiterleitung beteiligten Ionenkanal (TRPA1) und wechselwirkt mit Glutamat- und Neurokinin-Rezeptoren im zentralen Nervensystem.

Weiterhin wirkt Metamizol krampflösend durch die Öffnung von ATP-abhängigen Kalium-Kanälen sowie durch einen verminderten Einstrom von Calcium in die glatten Muskelzellen. Es wird über die Nieren ausgeschieden. Der Urin kann sich durch den Metaboliten Rubazonsäure rot anfärben5Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie – https://www.doi.org/10.1055/b-006-163246.

Nebenwirkungen von Metamizol

Das Hauptargument gegen eine großzügige Verordnung von Metamizol und für die 1987 erfolgte Rücknahme der rezeptfreien Abgabe ist die Agranulozytose, die durch den wirksamen Metaboliten 4-MAA ausgelöst wird. Dabei werden Antikörper gegen Granulozyten gebildet, die 4-MAA binden. Granulozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und spielen eine wichtige Rolle bei der Immunreaktion. Die Sterblichkeit aufgrund von Agranulozytosen ist in Deutschland zwischen 1990 und 2010 annähernd gleich geblieben, obwohl sich die Zahl der Verordnungen von Metamizol in diesem Zeitraum fast verzehnfacht hat. 204 Millionen definierten Tagesdosen (DDD) in 2016 (ohne Privat- und Krankenhausverordnungen) standen 244 gemeldete nicht tödliche Agranulozytosen gegenüber (Jahre 2000–2010).

Die Agranulozytose tritt meist frühzeitig auf. In 70–80 % der Fälle beginnen die Symptome nach 7-10 Tagen. Daher ist eine Blutbildkontrolle bei längerer Gabe von Metamizol nach 2–3 Wochen sinnvoll. In jedem Fall sollten die Patienten über die Symptome aufgeklärt werden6Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie – https://www.doi.org/10.1055/b-006-163246.

Warnsignale einer Agranulozytose können sein:

  • Entzündliche Schleimhautgeschwüre (Ulzerationen)
  • Mandelentzündung (Angina tonsillaris), Halsschmerzen, Schluckbeschwerden
  • Fieber, gegebenenfalls Schüttelfrost
  • Schwäche und Leistungseinschränkung.

Weitere gelegentlich auftretende Nebenwirkungen von Metamizol sind Blutdruckabfall, Hautausschläge und eine harmlose Rotfärbung des Urins. Zu den Nebenwirkungen mit unbekannter Häufigkeit zählen Blutarmut (aplastische Anämie), anaphylaktischer Schock, und gastrointestinale Blutungen7Metamizol – https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Metamizol_297 – Abgerufen am 13.10.2022.

Wechselwirkungen und Kontraindikationen von Metamizol

Kontraindiziert ist die Kombination von Metamizol mit anderen Substanzen, die eine Agranulozytose auslösen können, wie Clozapin, Carbamazepin, Phenylbutazon oder Thioamid-Thyreostatika. Auch bei gleichzeitiger Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) in niedriger Dosierung zur Vorbeugung von Herzerkrankungen ist Vorsicht geboten, da die Wirkung von Acetylsalicylsäure auf die Thrombozytenaggregation abgeschwächt werden kann. ASS sollte 5 Stunden nach Metamizol eingenommen werden8Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie – https://www.doi.org/10.1055/b-006-163246.

In folgenden Fällen ist die Anwendung von Metamizol kontraindiziert:

  • Überempfindlichkeit gegen Metamizol oder andere Pyrazolone und Pyrazolidine. Besonders gilt dies für Patienten, die mit einer Agranulozytose oder ähnlichen Symptomen nach Gabe dieser Substanzen reagiert haben.
  • Bekanntes Analgetika-Asthma-Syndrom oder bekannte Analgetika-Intoleranz vom Urtikaria-Angioödemtyp. Dazu zählen Patienten, die einen Bronchialkrampf oder andere allergische Reaktionsformen auf Salicylate, Paracetamol oder Schmerzmittel wie Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin oder Naproxen entwickelt haben.
  • Störungen der Knochenmarkfunktion oder Erkrankungen des blutbildenden Systems.
  • Genetisch bedingte Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel (Favismus) aufgrund der Gefahr einer Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen).
  • Akute intermittierende hepatische Porphyrie
  • Schwangerschaft (siehe unten)
  • Stillzeit
  • Kinder unter 10 Jahren

Bei bestehendem niedrigen Blutdruck (Hypotonie) und instabiler Kreislaufsituation darf Metamizol nicht parenteral gegeben werden. Es besteht eine generelle Kontraindikation, da eine erhöhte Gefahr für Schockreaktionen besteht. Es liegen keine gesicherten Daten zur Sicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit vor. Deshalb sollte der Wirkstoff im ersten Trimenon nicht verabreicht werden. Im zweiten Trimenon ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vom behandelnden Arzt durchzuführen. Im dritten Trimenon ist Metamizol kontraindiziert, da es eine schwache hemmende Wirkung auf die Bildung von Prostaglandinen hat und so einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus auslösen könnte.

Da Metamizol plazentagängig ist und in der Muttermilch ausgeschieden werden kann, müssen zwischen der letzten Gabe und dem Stillen mindestens 48 Stunden liegen9Metamizol – https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Metamizol_297 – Abgerufen am 13.10.2022.

Quellen & Verweise[+]

Gesundheitsreport.com nutzt Cookies

Auch unsere Website verwendet Cookies, um den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Wenn Sie auf der Seite weitersurfen, stimmen Sie der Cookie-Nutzung zu. Mehr erfahren