Die Parodontitis ist eine chronisch entzündliche, nicht übertragbare Erkrankung des Zahnhalteapparates. In Deutschland sind schätzungsweise rund 10 Millionen Menschen an einer schweren Parodontitis erkrankt.
Die Häufigkeit der Erkrankung steigt mit dem Alter. Die meisten Betroffenen haben einen leichten bis moderaten Krankheitsverlauf. Die Parodontitis wird durch krankheitsauslösende Bakterien im Biofilm der Zähne verursacht. Die Erkrankung zeigt meist über viele Jahre wenige oder nur milde Symptome. Unbehandelt oder unzureichend therapiert kann die Parodontitis jedoch zu einer Zerstörung des Zahnhalteapparates und letztendlich dem Verlust von Zähnen führen.
Die Therapie zielt meistens auf die Kontrolle des Biofilms der Zähne und unterhalb des Zahnfleischs ab und sollte in aufeinander aufbauenden Therapiestufen erfolgen. Diese Stufen sind vom Schweregrad abhängig und jedes Stadium bedarf unterschiedlicher Interventionen1Parodontitis: Therapie einer Volkskrankheit – https://doi.org/10.1007/s00103-021-03373-2.
Verbreitung der Parodontitis
Erkrankungen des Zahnhalteapparats zählen zu den häufigsten Erkrankungen weltweit. Dabei stehen vor allem die Parodontitis und Gingivitis (Zahnfleischentzündung) im Vordergrund. Die Parodontitis hat die stärksten Auswirkungen auf die Mundgesundheit von Erwachsenen und das Gesundheitswesen.
Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt mit steigendem Alter zu. Während die meisten Betroffenen einen leichten bis moderaten Krankheitsverlauf haben, treten im höheren Erwachsenenalter und bei Senioren häufig schwere Formen auf. In der Global Burden of Disease Study aus dem Jahr 2015 wurde die Häufigkeit einer schweren Parodontitis weltweit auf 7,4 % geschätzt. Schätzungen auf Basis der Daten der 5. Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMSV) deuten darauf hin, dass in Deutschland rund 10 Millionen Menschen an einer schweren Parodontitis erkrankt sind2Parodontitis: Therapie einer Volkskrankheit – https://doi.org/10.1007/s00103-021-03373-2.
Ursachen und Entstehung
Während bei einer Zahnfleischentzündung (Gingivitis) die Entzündung auf das Zahnfleisch (Gingiva) beschränkt ist, betrifft die Parodontitis alle Anteile des Zahnhalteapparates (Parodont). Der Zahnhalteapparat besteht aus verschiedenen Gewebetypen, die zusammen für die Verankerung des Zahnes im Kieferknochen sorgen und im gesunden Zustand einen dichten Verschluss um den Zahn ausbilden, um das Eindringen von Mikroorganismen in den Körper zu verhindern.
Sie ist eine chronisch entzündliche, nicht übertragbare Erkrankung, die durch Bakterien im Biofilm auf den Zähnen und unterhalb des Zahnfleischs verursacht wird. Im gesunden Zustand besteht eine Symbiose zwischen dem Biofilm und der Immunantwort des Körpers. Verschiedene Einflüsse können jedoch zu einer Störung des Ökosystems im Mund führen und das Wachstum von krankheitsauslösenden Bakterien fördern. Veränderungen des Biofilms können zu einem Ungleichgewicht der Mundflora führen und Entzündungen begünstigen.
Die Parodontitis geht mit einer Fehlsteuerung der Immunantwort auf den Biofilm einher, als Folge dessen es zu einem Abbau von Bindegewebe und Knochen des Zahnhalteapparats kommt. Wenn der Biofilm auf den Zähnen nicht regelmäßig entfernt oder zerstört wird, kann sich eine Dysbiose entwickeln, die einen chronischen und zerstörenden Entzündungsprozess auslöst und aufrechterhält. Meist geht der Parodontitis eine Gingivitis voraus.
Die Parodontitis ist eine multifaktorielle Erkrankung, die von mehreren Einflüssen abhängig ist. Der Verlauf und die Schwere der Erkrankung werden neben der Art der Bakterien im Biofilm durch eine Reihe weiterer Faktoren bestimmt. Dazu zählen Verhaltensfaktoren, Umweltfaktoren, lokale, genetische und epigenetische Faktoren. Beispiele sind schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Nikotinkonsum, Stress oder Engstand der Zähne. Es besteht zudem ein deutlicher Zusammenhang zwischen Parodontitis und sozioökonomischen Variablen und dem Verhalten einschließlich der Exposition gegenüber Risikofaktoren und den individuellen Mundhygienemaßnahmen3Parodontitis: Therapie einer Volkskrankheit – https://doi.org/10.1007/s00103-021-03373-2.
Eine Parodontitis kann auch als Folge von systemischen Erkrankungen auftreten. Zu den potenziell auslösenden Erkrankungen gehören:
- Hämatologische Erkrankungen: Beispielsweise Leukämien oder erworbene Neutropenien (verminderte Zahl neutrophiler Granulozyten im Blut, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen).
- Genetische Erkrankungen: Beispielsweise die erblich bedingte Neutropenie, Down-Syndrom, Leukocyte Adhesion Deficiency Syndromes, Papillon-Lefévre-Syndrom, Chediak-Higashi-Syndrom, Histiozytosen, Glykogenspeicherkrankheit, infantile genetische Agranulozytose, Cohen-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom (Typen IV und VIII) und Hypophosphatasie4Memorix Zahnmedizin – https://doi.org/10.1055/b-004-140694.
Symptome der Parodontitis
Die Parodontitis verläuft zunächst häufig langsam und schmerzlos. Leichte und moderate Formen von Parodontitis zeigen über viele Jahre zumeist wenige oder nur milde Symptome. Erste Anzeichen der Erkrankung sind Veränderungen des Zahnfleischs wie Zahnfleischbluten, Rötungen und Schwellungen. Diese Symptome werden von Betroffenen jedoch oft nicht wahrgenommen oder richtig eingeordnet.
Frühe Stadien der Parodontitis können von Betroffenen zumeist nicht von einer Gingivitis unterschieden werden. Diese Unterscheidung muss durch ärztliche Diagnose erfolgen. Fortgeschrittene Formen der Parodontitis sind durch eine deutliche Zerstörung des Zahnhalteapparates gekennzeichnet, die zu einer merklichen Lockerung der Zähne, Zahnwanderung, einem Rückgang des Zahnfleischs mit schwarzen Dreiecken in den Zahnzwischenräumen und freiliegenden Zahnhälsen führt.
Auch die Ausbildung von Taschen im Zahnhalteapparat, gingivale Blutungen und radiologisch nachweisbarer Knochenabbau sind Merkmale einer Parodontitis. Betroffenen fehlt häufig das Bewusstsein für die eigene Erkrankung, was dazu führen kann, dass eine zahnärztliche Behandlung erst dann in Anspruch genommen wird, wenn es bereits zu massiven Schäden am Zahnhalteapparat gekommen ist. Bei einer Untersuchung wurde die Selbsteinschätzung der parodontalen Situation mit dem klinischen Befund verglichen. Obwohl rund 75 % der Studienteilnehmer von einer moderaten bis schweren Form von Parodontitis betroffen waren, waren 62–86 % der Probanden nicht der Meinung, an Parodontitis erkrankt zu sein.
In Deutschland werden bei geschätzt rund 10 Millionen Menschen, die an einer schweren Parodontitis leiden, jährlich nur etwa eine Million systematische Parodontalbehandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet. Unbehandelt oder unzureichend therapiert führt die Erkrankung zu einer Zerstörung des Zahnhalteapparats und letztendlich dem Verlust von Zähnen.
Die Erkrankung ist eine der Hauptursachen für Zahnverlust bei Erwachsenen weltweit. Zahnverlust hat einen negativen Einfluss auf die Kauffunktion, die orale Ästhetik und die Lebensqualität der Betroffenen. Zudem kann eine Parodontitis auch Auswirkungen auf den gesamten Körper haben. Die Erkrankung steht womöglich in Zusammenhang mit einer Vielzahl von systemischen Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, Schwangerschaftskomplikationen und Demenz. Insbesondere der wechselseitige Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Parodontitis ist am besten belegt, weshalb eine nachhaltige und systematische Therapie von Parodontitis bei Diabetespatienten einen positiven Beitrag zum Management ihrer Erkrankung leisten könnte.
Auch scheinen Menschen mit Parodontitis, die an COVID-19 erkranken, ein signifikant höheres Risiko für schwere Komplikationen wie Einweisung auf Intensivstationen, Beatmung und Tod im Verlauf der Infektion zu haben5Parodontitis: Therapie einer Volkskrankheit – https://doi.org/10.1007/s00103-021-03373-2.
Diagnose und Einteilung
Gemäß der Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) gibt es Kriterien zur Bestimmung des Stadiums und des Grads einer Parodontitis. Die Parodontitis wird in vier Stadien eingeteilt. Der Schweregrad wird anhand der Distanz vom Taschenboden zur Schmelz-Zement-Grenze (Attachment-Verlust) in Millimetern, dem mittels Röntgenanalyse beurteilten Knochenabbau und der Zahl der aufgrund der Parodontitis verlorenen Zähne bestimmt. Weitere Kriterien sind die Komplexität, das Ausmaß und die Verteilung der Erkrankung.
Die Einteilung erfolgt in vier Stadien. Der Grad der Parodontitis ist ein Indiz für die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Erkrankung. Die bestmögliche Einschätzung des Fortschreitens der Erkrankung wird durch wiederholte ärztliche Untersuchungen gewährleistet. Die Einteilung erfolgt in drei Grade (Grad A: langsames Fortschreiten, Grad B: moderates Fortschreiten, Grad C: schnelles Fortschreiten). Die Einteilung der Parodontitis spielt eine wichtige Rolle für das folgende Therapiekonzept6S3-Leitlinie Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III – https://dgparo.de/forschung-praxis/leitlinien-stellungnahmen/ – Abgerufen am 11.10.2022.
Therapie
Nach der Diagnose sollten Patienten nach einem stufenweise ablaufenden, aufeinander aufbauenden Therapiekonzept behandelt werden. Die Therapiestufen sind vom Schweregrad abhängig.
Jedes Stadium bedarf unterschiedlicher Maßnahmen. Die erste Therapiestufe soll eine Veränderung des Verhaltens der Betroffenen bewirken und unabhängig vom Stadium bei allen Patienten erfolgen. Betroffene sollen motiviert werden, Maßnahmen zur Entfernung des Biofilms auf den Zähnen und der Kontrolle von Risikofaktoren umzusetzen. Diese erste Therapiestufe kann folgende Punkte umfassen:
- Kontrolle des Biofilms der Zähne
- Verbesserung der Mundhygiene (Motivation und Anleitung für eine bessere Mundhygiene)
- Begleitende Therapie von Zahnfleischentzündungen
- Professionelle mechanische Entfernung von Belägen (Plaques)
- Kontrolle der Risikofaktoren und Motivation und Anleitung zur Änderung des Gesundheitsverhaltens, um bekannte Risikofaktoren für die Entstehung und das Fortschreiten von Parodontitis abzumildern (Raucherentwöhnung, Verbesserung der metabolischen Kontrolle eines Diabetes mellitus, eventuell körperliche Bewegung, Verbesserung der Ernährung und Gewichtsreduktion).
Die zweite Therapiestufe wird als ursachenbezogene Therapie verstanden und zielt auf die Kontrolle des Biofilms unterhalb des Zahnfleischs und des Zahnsteins ab. Zusätzlich dazu können weitere physikalische oder chemische Mittel, lokale oder systemisch verabreichte immunverändernde Mittel und lokal oder systemisch angewendete Antibiotika zum Einsatz kommen. Die zweite Therapiestufe sollte gemäß Leitlinie unabhängig vom Stadium der Erkrankung bei allen Patienten erfolgen, aber nur an Zähnen mit Verlust von Stützgewebe des Zahnhalteapparats und/oder der Ausbildung von parodontalen Taschen.
Die dritte Therapiestufe zielt auf die Behandlung der Bereiche ab, die nicht ausreichend auf die zweite Therapiestufe reagiert haben. Dafür wird vor allem die Tiefe von Taschen als diagnostischer Marker herangezogen. Die dritte Therapiestufe kann eine wiederholte instrumentelle Behandlung der Bereiche unterhalb des Zahnfleischs mit oder ohne begleitender medikamentöser Therapie und verschiedene chirurgische Verfahren beinhalten.
Die unterstützende Parodontaltherapie zielt darauf ab, bei allen behandelten Patienten möglichst lebenslang die Stabilität des Zahnhalteapparats aufrechtzuerhalten. Abhängig vom Status des Zahnfleischs und des Zahnhalteapparats werden dabei vorbeugende und therapeutische Maßnahmen aus den Therapiestufen 1 und 2 kombiniert. Zudem kann in jeder Therapiestufe die Entfernung von betroffenen Zähnen in Betracht gezogen werden, wenn deren Prognose hoffnungslos ist7S3-Leitlinie Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III – https://dgparo.de/forschung-praxis/leitlinien-stellungnahmen/ – Abgerufen am 11.10.2022.
Quellen & Verweise