Dr Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard ist Diplom-Lebensmittel­chemiker mit Berufserfahrung in Industrie und Wissenschaft. Seiner Promotion im Fach Pharmazeutische Biologie in München schloss sich ein Forschungsaufenthalt in den USA im Bereich Bioingenieurwesen an. Seit 2019 arbeitet er als freiberuflicher Autor und behandelt Themen der Gesundheit, Ernährung und Medizin.

Unter Angststörungen werden mehrere psychische Erkrankungen zusammengefasst, deren Gemeinsamkeit das Erleben von intensiven Angstgefühlen ist. Für das oft massive Angstgefühl gibt es jedoch scheinbar keinen rechtfertigenden Auslöser. Die Angst kann mit körperlichen Begleitsymptomen und einem Vermeidungsverhalten der Betroffenen einhergehen. Häufig sind auch gravierende Folgen im sozialen Bereich. Angst- und Panikstörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Auf die gesamte Lebenszeit gesehen, leiden im Durchschnitt 20% der Menschen unter mindestens einer Episode einer Angststörung. Die Therapie von Angststörungen richtet sich in der Regel nach der im Vordergrund stehenden Form und Ausprägung der Angst. Medikamentöse und nichtmedikamentöse Strategien können erwogen und kombiniert werden. Der spontane Verlauf von Angststörungen gilt als wenig günstig. Oft beeinträchtigen die Folgen der Angststörung, beispielsweise ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten und soziale Isolierung, die Lebensqualität besonders1Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Definition und Einteilung von Angststörungen

Die wesentlichen Erscheinungsformen der Angst sind die generalisierte und lang anhaltende Angst, die phobische Angst vor bestimmten Situationen sowie die Panik. Obwohl vermutlich jeder Mensch in unterschiedlichen Situationen und in unterschiedlicher Ausprägung Angst wiederholt erlebt hat, lässt sich das Phänomen nur sehr schwer allgemein definieren. Grundsätzlich kann Angst als ein unangenehm erlebtes Gefühl von Bedrohung beschrieben werden. Angst kann im Rahmen von normaler Angst (Realangst) mit einer Alarmfunktion für den Körper auch als nützliches Phänomen angesehen werden. Angst geht in der Regel mit Körperfunktionen einher, die der Überlebenssicherung dienen und die körperlichen und seelischen Abwehrfunktionen stärken. Ein Übermaß an Angst aber bewirkt das Gegenteil und kann körperliche und geistige Funktionen lähmen. Eine solche Angst oder das scheinbar grundlose Auftreten von Angstsymptomen kann Krankheitswert besitzen. Allerdings kann auch das völlige Fehlen von Angst, z. B. im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen, von Krankheitswert sein.

Im Folgenden werden mögliche Kriterien zur Unterscheidung von Angststörungen erläutert:

  • Objekt- oder situationsgebundene Angst im Unterschied zu Angst ohne äußeren Anlass
  • Akute Angst im Unterschied zu chronischer Angst
  • Isolierte Angst im Gegensatz zu generalisierter Angst, die nicht nur auf bestimmte Situationen oder Objekte begrenzt ist
  • Attackenweise auftretende Angst im Unterschied zu kontinuierlicher Angst

In modernen Klassifikationssystemen werden genaue Kriterien für Angsterkrankungen beschrieben. In der Klassifikation ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) werden Angsterkrankungen wie folgt klassifiziert:

Phobische Störungen: Hier tritt Angst in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Objekten auf. Folgende Untergruppen werden definiert:

  • Agoraphobie (mit oder ohne Panikstörung, Synonyme: Platzangst, Klaustrophobie): Das klinische Bild ist geprägt durch Ängste, sich an Orten oder Situationen zu befinden, in denen beim plötzlichen Auftreten von hilflos machenden oder peinlichen Situationen oder Symptomen eine Flucht nur schwer möglich oder keine Hilfe verfügbar wäre. Angst muss in mindestens 2 der folgenden Situationen auftreten: In Menschenmengen, auf öffentlichen Flächen, bei Reisen mit weiter Entfernung von zu Hause oder bei Reisen alleine. Das Vermeiden der phobischen Situationen ist ein häufiges Symptom.
  • Soziale Phobie (Synonyme: Soziale Angststörung, soziale Neurose, Anthropophobie): Eine anhaltende Angst vor Situationen, in denen die Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Die Angst wird als unverhältnismäßig empfunden und führt in der Regel zu einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten. Eine typische Situation ist das Sprechen in der Öffentlichkeit. Häufig besteht die Angst, etwas Lächerliches zu sagen oder nicht antworten zu können. Soziale Phobien sind häufig mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden. Typische Angstsymptome sind Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Händezittern, Übelkeit oder Harndrang.
  • Spezifische Phobie: Hauptmerkmal ist die anhaltende Angst vor einem bestimmten Objekt oder Situation. Die Angst tritt häufig als Furcht vor Tieren (Zoophobie), dem Anblick von Blut, dem Aufenthalt in geschlossenen Räumen (Klaustrophobie) oder in der Höhe (Akrophobie) sowie dem Fliegen (Aviophobie) auf.

Sonstige Angststörungen können in folgende Untergruppen eingeteilt werden:

  • Panikstörung (Synonym: episodisch paroxysmale Angst): Panik bezeichnet eine ohne sichtbaren Anlass entstehende ausgeprägte Angst. Panik tritt meist anfallsweise auf und ist mit ausgeprägten körperlichen Symptomen verbunden (Panikattacke). Eine Panikstörung ist definiert durch wiederholte, abgrenzbare, häufig unerwartete Panikattacken. Es entwickelt sich schnell Erwartungsangst, also eine Angst vor der Angst selbst. Bei Panikattacken setzen die Beschwerden ganz plötzlich ein und steigern sich innerhalb einiger Minuten zu einem Höhepunkt.
  • Generalisierte Angststörung (Synonym: Angstneurose): Generalisierte und lang anhaltende Angst, die nicht nur auf bestimmte Situationen oder Objekte begrenzt ist. Oft bestehen unrealistische Befürchtungen, körperliche Anspannung und Übererregbarkeit. Hauptmerkmal der generalisierten Angststörung ist die unangemessene Angst bezüglich allgemeiner oder besonderer Lebensumstände.
  • Gemischte Angst und depressive Störung
  • Andere gemischte Angststörungen.

Dazu kommen noch Angststörungen, die im Rahmen von primär organischen Erkrankungen auftreten2Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Epidemiologie von Angststörungen

Angst ist ein sehr häufiges Symptom von psychischen Problemen. Etwa 10-12% der Menschen leiden innerhalb eines Jahres an einer Angststörung, und bis zu 20% erleben sie im Laufe ihres Lebens. Mehr als die Hälfte der Patienten, die zum Hausarzt gehen, geben an, unter Angst zu leiden. Die häufigste Angststörung ist die spezifische Phobie, bei der Menschen große Angst vor bestimmten Dingen oder Situationen haben, wie z.B. Tieren oder Höhen. Die Panikstörung ist seltener, aber die am meisten behandelte Art von Angststörung. Die soziale Phobie tritt bei etwa 3% der Bevölkerung auf.

Die meisten Angststörungen treten häufiger bei Frauen als bei Männern auf, auch wenn es nur geringe Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Faktoren wie Bildung, Beruf oder Wohnort gibt. Ein wichtiger Risikofaktor scheint das Fehlen einer festen Partnerbindung zu sein. Angststörungen treten häufiger bei jüngeren Menschen auf und die Inzidenz scheint nach dem 45. Lebensjahr abzunehmen. Die gesamten sozioökonomischen Kosten für Angststörungen sind sehr hoch und können in der EU bis zu 75 Milliarden Euro pro Jahr betragen3Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Ursachen und Entstehung von Angststörungen

Angststörungen – Ursachen, Symptome und Behandlung

Angst ist ein komplexes Phänomen und es gibt verschiedene Theorien darüber, wie Angst entsteht. Die wichtigsten Modelle sind lerntheoretische und psychodynamische Modelle. Ähnlich wie bei anderen psychischen Erkrankungen gibt es bei Angst verursachende Bedingungen, auslösende Situationen und aufrechterhaltende Faktoren.

Lerntheoretische Modelle haben vor allem die Modelle der Entstehung von Phobien beeinflusst. Heute wird zwischen disponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren unterschieden, wobei auch genetische Veranlagung, die Lebensgeschichte und Lernprozesse eine Rolle spielen können. Es kann ein Zusammenwirken von verstärkenden Systemen beschrieben werden. Auch das Zusammenspiel zwischen psychischen und körperlichen Faktoren kann eine gegenseitige Verstärkung bewirken. Die im Rahmen von Angst wahrgenommenen körperlichen Symptome können von Betroffenen als drohende Gefahr fehlinterpretiert werden. Diese subjektiv empfundene Gefahr verstärkt das Angstgefühl, das dann wiederum durch eine Stressreaktion zu einer Verstärkung körperlicher Symptome beiträgt. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der zu einer stetigen Zunahme der Angstsymptomatik führt4Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Symptome von Angststörungen

Bei Patienten mit Angststörungen steht das Empfinden von Angst oft nicht im Vordergrund der Beschwerden. Häufig treten zunächst eine Vielzahl körperlicher Symptome wie  Schwindel, Herzrasen, Bauchbeschwerden oder verminderte Belastbarkeit auf. Normale und krankhafte Angst sind immer zugleich körperliche und seelische Phänomene. Körperliche Symptome aufgrund von Angst können auch isoliert auftreten, also ohne dass Betroffenen die verursachende Angst bewusst sein muss. Auch die direkten oder indirekten Folgen können eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Angst spielen. Insbesondere die Erwartungsangst, eine Angst vor der Angst, kann zu ausgeprägtem Vermeidungsverhalten bis hin zu einer vollständigen sozialen Isolation führen und dadurch oft auch nahe stehende Personen ganz erheblich beeinflussen5Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Therapie und Prognose von Angststörungen

Die Therapie der Angststörungen richtet sich in der Regel nach der im Vordergrund stehenden Form und Ausprägung der Angst. Grundsätzlich ist es sinnvoll, medikamentöse und nichtmedikamentöse Strategien zu erwägen und evtl. zu kombinieren. In der Therapie von Panikstörungen stehen pharmakologische Ansätze im Vordergrund. In der Therapie phobischer Syndrome spielt die Verhaltenstherapie eine besondere Rolle, bei der generalisierten Angststörung werden häufig eher psychodynamische Therapieansätze angewendet.

  • Nichtmedikamentöse Therapie: Die Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Verfahren bei Angststörungen gilt als gesichert. Verschiedene Verfahren können miteinander kombiniert werden. Es wird versucht, fehlerhafte und eingefahrene Denkmuster zu korrigieren. Betroffenen wird vermittelt, welche Denkabläufe die Angst aufrechterhalten oder zu einer Ausbreitung der Angst beitragen können. Auch Entspannungsverfahren (beispielsweise Biofeedback oder autogenes Training) bilden eine wichtige Grundlage verschiedener verhaltensbeeinflussender Therapien.
  • Pharmakologische Therapie: Heute werden in erster Linie Antidepressiva und (aufgrund des Abhängigkeitspotentials nur vorübergehend) Benzodiazepine eingesetzt. Auch Betablocker und weitere Psychopharmaka können in Einzelfällen zum Einsatz kommen. In der Therapie der Agoraphobie und der Panikstörung werden die besten Ergebnisse mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und selektiven Serotonin/-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) erreicht.

Angststörungen haben oft einen ungünstigen Verlauf, da die Folgen der Angst die Lebensqualität beeinträchtigen können. Die Erwartungsangst (Angst vor der Angst) kann zu Vermeidungsverhalten und sozialer Isolation führen. Agoraphobie und soziale Phobie haben einen besonders chronischen Verlauf, während spezifische Phobien unterschiedlich verlaufen können. Panikattacken treten oft wiederholt auf und können episodenhaft oder langfristig bestehen. Eine unbehandelte generalisierte Angststörung kann über Jahre oder sogar Jahrzehnte bestehen bleiben, jedoch beeinträchtigt sie die soziale Anpassung oder berufliche Leistungsfähigkeit oft weniger als andere Angststörungen. Komplikationen wie Alkohol- oder Beruhigungsmittelmissbrauch treten häufig bei langwierigen Verläufen auf und Angststörungen gehen oft mit depressiven Symptomen einher. Eine frühe Therapie kann den Verlauf der Angststörungen verbessern6Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – https://www.doi.org/10.1055/b000000071.

Quellen & Verweise[+]

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