Dr Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard

Dr. Sören Reinhard ist Diplom-Lebensmittel­chemiker mit Berufserfahrung in Industrie und Wissenschaft. Seiner Promotion im Fach Pharmazeutische Biologie in München schloss sich ein Forschungsaufenthalt in den USA im Bereich Bioingenieurwesen an. Seit 2019 arbeitet er als freiberuflicher Autor und behandelt Themen der Gesundheit, Ernährung und Medizin.

Biotin ist ein wasserlösliches, schwefelhaltiges Vitamin, das vor allem in Leber, Eigelb, Hefe, Sojabohnen, Schokolade und Nüssen vorkommt. Auch Darmbakterien sind in der Lage, Biotin zu produzieren. Biotin wird auch als Vitamin H oder Vitamin B7 bezeichnet.

In seiner Funktion als Coenzym ist es unter anderem an Reaktionen der Neubildung von Glukose (Gluconeogenese), der Fettsäurebiosynthese, beim Abbau bestimmter Fettsäuren und einiger Aminosäuren beteiligt.

Da Biotin auch von der Darmflora des Menschen gebildet werden kann, sind Mangelzustände sehr selten. Eine Unterversorgung kann durch Mangelernährung oder lange andauernde orale Antibiotikatherapie auftreten. Auch der Verzehr von großen Mengen rohem Hühnereiweiß kann einen Mangel auslösen, da das darin enthaltene Glykoprotein Avidin Biotin bindet und dadurch seine Aufnahme hemmt. Avidin wird durch Kochen jedoch zerstört, sodass der Verzehr gekochter Eier diesbezüglich unbedenklich ist.

Ein Mangel kann sich durch schuppige Hautveränderungen, Haarausfall (Alopezie), Depressionen, Muskelschmerzen und eine Überempfindlichkeit für Berührungsreize (Hyperästhesie) äußern1Duale Reihe Biochemie – https://www.doi.org/10.1055/b000000425.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Zufuhr bei Erwachsenen von 40 µg/Tag. Für Stillende gelten höhere Empfehlungen. Die mittlere Zufuhr liegt in Deutschland bei Frauen bei 40 µg pro Tag und bei Männern bei 46 µg pro Tag2Ausgewählte Fragen und Antworten zu Biotin – https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/ausgewaehlte-fragen-und-antworten-zu-biotin – Abgerufen am 12.08.2022.

Funktionen von Vitamin H im Körper

Biotin ist als sogenannte prosthetische Gruppe fest mit Enzymen aus der Klasse der Carboxylasen verbunden und somit an Stoffwechselreaktionen beteiligt, in denen eine Carboxylierung erfolgt. Diese Carboxylasen spielen eine entscheidende Rolle im Stoffwechsel, beispielsweise bei der Gluconeogenese, also der Neubildung von Glukose bei Nahrungskarenz, der Fettsäuresynthese und dem Abbau mancher Fettsäuren und Aminosäuren.

Zusätzlich zu diesen klassischen Funktionen weisen neuere Erkenntnisse auf eine Rolle des Vitamins bei der Modifikation von Histonen hin. Histone sind Proteinkomplexe, die der Verpackung der Erbinformation DNA im Zellkern dienen. Damit spielt Biotin vermutlich auch eine Rolle bei der Regulation der Genexpression, bei Zellteilungsprozessen und der Reparatur von DNA-Schäden.

Biotin scheint auch eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der normalen Immunfunktionen zu spielen, da es einen Einfluss auf die Produktion von Antikörpern hat und zu einer normalen Funktion von Makrophagen und der Differenzierung von T- und B-Lymphozyten beiträgt. Das Vitamin scheint auch für die normale Funktion von natürlichen Killerzellen wichtig zu sein, die ein Teil des angeborenen, unspezifischen Immunsystems sind3Biotin: biochemical, physiological and clinical aspects – https://www.doi.org/10.1007/978-94-007-2199-9_1.

Empfohlene Zufuhr von Biotin

Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die tägliche Zufuhr von Biotin ist der folgenden Tabelle zu entnehmen4Biotin – https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/biotin/ – Abgerufen am 12.08.2022:

Alter Biotin

täglich empfohlene Zufuhr in Mikrogramm (µg)

Säuglinge
0 bis unter 4 Monate 4
4 bis unter 12 Monate 6
Kinder und Jugendliche
1 bis unter 4 Jahre 20
4 bis unter 7 Jahre 25
7 bis unter 10 Jahre 25
10 bis unter 13 Jahre 35
13 bis unter 15 Jahre 35
15 bis unter 19 Jahre 40
Erwachsene
19 bis unter 25 Jahre 40
25 bis unter 51 Jahre 40
51 bis unter 65 Jahre 40
65 Jahre und älter 40
Schwangere 40
Stillende 45

Die DGE hat die Referenzwerte zuletzt im Jahr 2020 überarbeitet und gibt nach wie vor Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr an. Anders als bisher werden diese jetzt für alle Altersgruppen als konkrete Werte und nicht mehr als Spannen angegeben5Ausgewählte Fragen und Antworten zu Biotin – https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/ausgewaehlte-fragen-und-antworten-zu-biotin – Abgerufen am 12.08.2022.

Wie ist die Versorgungslage in Deutschland?

In der Nationalen Verzehrsstudie II wurde Biotin nicht erfasst. Daten über die Biotin-Zufuhr in Deutschland beruhen auf Schätzungen und stammen aus dem Ernährungsbericht 2012 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Für die Bundesrepublik Deutschland liegt demnach kein Hinweis auf eine unzureichende Versorgung mit Vitamin H vor.

Bei Frauen liegt die mittlere tägliche Zufuhr bei 40 Mikrogramm Biotin pro Tag und bei Männern bei 46 Mikrogramm Biotin pro Tag. Für Stillende mit einem täglichen Mehrbedarf von 5 Mikrogramm pro Tag liegt die durchschnittliche Aufnahme pro Tag leicht unter dem von der DGE angegebenen Bedarf6Versorgungssituation Biotin – http://www.vitalstoff-lexikon.de/Vitamin-B-Komplex/Biotin/Versorgungssituation.html – Abgerufen am 12.08.2022.

Quellen für Biotin in Lebensmitteln

Biotin - Bedarf, Quellen und Mangel

Beispiele für Lebensmittel mit hohen Gehalten an Biotin sind Haferflocken (20 µg/100g), Speisekleie (44 µg/100g), Kakaopulver (20 µg/100g), Bäckerhefe (33 µg/100g), Erbsen (19 µg/100g Trockengewicht), Sojabohnen (60 µg/100g Trockengewicht), Erdnüsse (34 µg/100g), Eier (25 µg/100g) und Schweineleber (27 µg/100g)7Biotin

http://www.vitalstoff-lexikon.de/Vitamin-B-Komplex/Biotin/Lebensmittel.html – Abgerufen am 12.08.2022
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Unter Berücksichtigung der üblichen verzehrten Mengen tragen auch Milch und Milchprodukte zur Versorgung mit Biotin bei. Auch angereicherte Fruchtsäfte sind wichtige Quellen.

Der Referenzwert von 40 µg Biotin pro Tag für Erwachsene wird beispielsweise durch den Verzehr von 150 ml Kuhmilch, 150 g gegarten grünen Erbsen, 200 g Champignons und 125 g gegartem Schweineschnitzel, oder durch 20 g Leinsamen, 50 g Vollkornhaferflocken, 150 ml Sojadrink, 25 g Walnüsse, 200 g Spinat und 150 g gegartem Reis erreicht. In rohem Eiklar ist das Glykoprotein Avidin enthalten, welches Biotin binden und dessen Aufnahme im Darm verhindern kann.

Üblicherweise werden Eier jedoch vor Verzehr erhitzt, wodurch Avidin inaktiviert wird und kein Biotin mehr binden kann. Die Biotinaufnahme ist dann nicht mehr eingeschränkt und Eier, insbesondere das Eigelb, stellen eine wertvolle Quelle für Biotin dar8Ausgewählte Fragen und Antworten zu Biotin – https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/ausgewaehlte-fragen-und-antworten-zu-biotin – Abgerufen am 12.08.2022.

Was passiert bei Unter- oder Überversorgung mit Biotin?

Unterversorgung

Eine Mangelerkrankung, die durch eine zu geringe Versorgung ausgelöst wird, kommt besonders bei Menschen mit angeborenen Störungen der Aufnahme oder des Biotinstoffwechsels, bei Patienten, die eine Langzeittherapie mit krampflösenden Mitteln erhalten und bei Patienten unter parenteraler Langzeiternährung vor. Niedrige Biotinspiegel können auch während einer Schwangerschaft, bei Alkoholismus oder bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen vorkommen9Biotin: biochemical, physiological and clinical aspects – https://www.doi.org/10.1007/978-94-007-2199-9_1.

Da die Darmflora des Menschen in der Lage ist, Vitamin H zu produzieren, ist ein Mangel äußerst selten. Jedoch kann eine lange andauernde orale Antibiotikatherapie die Darmflora schädigen und zu einer Unterversorgung mit Biotin beitragen. Mangelerscheinungen können sich in Haarausfall (Alopezie), Depressionen, Muskelschmerzen und einer Überempfindlichkeit für Berührungsreize (Hyperästhesie) äußern10Duale Reihe Biochemie – https://www.doi.org/10.1055/b000000425.

Fehlt dem Körper ein Enzym namens Biotinidase, das der Körper für die Rückgewinnung von aktivem Vitamin H benötigt, geht dem Körper so viel Biotin verloren, dass der Bedarf nicht mehr alleine durch die Aufnahme über die Nahrung ausgeglichen werden kann. Dieser sogenannte Biotinidasemangel ist eine erbliche Stoffwechselstörung mit einer Häufigkeit von 1:80.000. Ein Biotinidasemangel kann zu Störungen des Hör- und Sehvermögens, Entwicklungsstörungen, Hautveränderungen, Haarausfall, Krämpfen, niedrigem Blutdruck und Übersäuerung des Bluts führen.

Zur Therapie müssen lebenslang Präparate mit 5 bis 20 mg Vitamin H zugeführt werden. In Deutschland ist der Test auf Biotinidasemangel Bestandteil des Neugeborenen-Screenings, da eine frühzeitige Behandlung zur Vermeidung von Folgeschäden notwendig ist. Ohne eine Behandlung ist sogar ein tödlicher Verlauf möglich11Ausgewählte Fragen und Antworten zu Biotin – https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/ausgewaehlte-fragen-und-antworten-zu-biotin – Abgerufen am 12.08.2022.

Überversorgung

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stellt in einer Einschätzung aus dem Jahr 2021 fest, dass selbst bei Verzehr von Vitamin H weit oberhalb der empfohlenen Tagesmenge keine nachteiligen gesundheitlichen Effekte beobachtet werden konnten. Jedoch ist bekannt, dass hohe Gehalte an Vitamin H im Blut labordiagnostische Untersuchungen verfälschen können.

Daher empfiehlt das BfR, dass Personen, die Biotin einnehmen oder kürzlich eingenommen haben und sich einem Labortest unterziehen müssen, ihre Ärztin oder ihren Arzt oder das Laborpersonal über die Einnahme informieren12Höchstmengenvorschläge für Biotin in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln – https://www.bfr.bund.de/cm/343/hoechstmengenvorschlaege-fuer-biotin-in-lebensmitteln-inklusive-nahrungsergaenzungsmitteln.pdf – Abgerufen am 12.08.2022.

Quellen & Verweise[+]